Recht und Steuern

Änderungen im Kaufrecht gegenüber Verbrauchern

In Umsetzung der europäischen Warenkaufrichtlinie hat das Kaufrecht seit 1. Januar 2022 umfangreiche Änderungen erfahren. Betroffen sind Verträge mit Verbrauchern über bewegliche körperliche Gegenstände und Waren mit digitalen Elementen. Hier gelten seitdem neue Regeln bei der Gewährleistungsfrist, der Beweislast und eine Aktualisierungspflicht für Waren mit digitalen Elementen. Insbesondere wird auch der Begriff des Sachmangels definiert. Für digitale Produkte werden eigenständige Regelungen eingeführt. Die Neuregelungen im Überblick:
Neuer Sachmangelbegriff
Der zentrale Begriff im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht ist der Sachmangel. Bisher war eine Sache bereits frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit aufwies. Fehlte es an einer solchen Beschaffenheitsvereinbarung, war in weiteren Prüfungsschritten festzustellen, ob sich die Kaufsache für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung eignet oder sich für die gewöhnliche Verwendung eignete und eine übliche Beschaffenheit aufwies. Die subjektiven und objektiven Anforderungen an die Kaufsache standen nach altem Recht also in einem Stufenverhältnis.
Das hat sich mit dem neugefassten § 434 BGB grundlegend geändert: Zunächst kommt es auf die Vereinbarung der Parteien an. Den subjektiven Anforderungen entspricht die Sache dann, wenn sie
  • die vereinbarte Beschaffenheit hat,
  • sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und
  • mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird.
Den objektiven Anforderungen entspricht die Sache, wenn sie
  • sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und
  • die übliche Beschaffenheit aufweist.
Die subjektiven Anforderungen und die objektiven Anforderungen stehen gleichrangig nebeneinander. Beide Anforderungen müssen kumulativ erfüllt sein, damit die Kaufsache  mangelfrei ist. Neben der von den Vertragsparteien vereinbarten Beschaffenheit muss die Kaufsache auch den objektiven (branchenüblichen) Anforderungen entsprechen. Durch die Verbindung des subjektiven und objektiven Fehlerbegriffs werden also im Ergebnis die Anforderungen an die Mangelfreiheit der Kaufsache erhöht.
  • Soweit eine Montage erforderlich ist, muss die Sache auch den Montageanforderungen entsprechen, das heißt, eine Montage (soweit erforderlich) muss sachgemäß durchgeführt worden sein
  • oder eine unsachgemäße Montage darf nicht auf einer unsachgemäßen Montage durch den Verkäufer oder einem Mangel der Montageanleitung beruhen.
Eine Falschlieferung steht einem Sachmangel gleich.
Vorsicht bei negativer Beschaffenheitsvereinbarung
Durch die Verbindung des subjektiven und objektiven Fehlerbegriffs wurden im Ergebnis die Anforderungen an die Mangelfreiheit der Kaufsache erhöht. Neben der von den Vertragsparteien vereinbarten Beschaffenheit muss die Kaufsache auch den objektiven (branchenüblichen) Anforderungen entsprechen.
Im unternehmerischen Geschäftsverkehr sind die Vertragsparteien jedoch weiterhin frei, eine Beschaffenheit zu vereinbaren, die von den objektiven Anforderungen abweicht.
Erhebliche Auswirkungen haben sich aber beim Verbrauchsgüterkauf ergeben, also bei einem Kaufvertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher: Während  früher für die Frage, ob ein Fehler vorlag, ein Vorrang der vereinbarten Beschaffenheit statuiert war, ist nunmehr eine deutliche Änderung erfolgt. Für den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs bleibt § 434 grundsätzlich zwingend, d. h. es kann nicht ohne weiteres eine den objektiven Anforderungen vorgehende Beschaffenheitsvereinbarung getroffen werden. Erforderlich sind  vielmehr:
  • eine besondere Information des Verbrauchers
  • und eine ausdrückliche und gesonderte Vereinbarung.
Auswirkungen für die Praxis ergeben sich daher beim Verkauf von B-Ware, Vorführgeräten, Ausstellungsstücken oder gebrauchten Ware. Hier muss der Verbraucher „eigens“ vor Abgabe seiner Vertragserklärung davon in Kenntnis gesetzt werden, dass ein bestimmtes Merkmal der Kaufsache von den objektiven Anforderungen abweicht. Es reicht nicht aus, die Abweichung lediglich in der Produktbeschreibung anzuführen.
Achtung: Voraussetzung für eine wirksame Beschaffenheitsvereinbarung ist ferner, dass die Vertragsparteien eine ausdrückliche und gesonderte Vereinbarung über die Abweichung treffen. Die Vertragsunterlagen müssen also so gestaltet sein, dass dem Verbraucher bei Abgabe seiner Vertragserklärung bewusst wird, dass er eine von den objektiven Anforderungen abweichende Kaufsache erwirbt oder erwerben kann. Im Onlinehandel ist die Erstellung eines standardisierten digitalen Formulars erforderlich oder eine Anpassung der Website, so dass der Verbraucher z. B. eine Schaltfläche anklicken kann. Nicht ausreichend wäre es, die Abweichung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu regeln; ebenfalls nicht, wenn im Onlinehandel ein vorausgefülltes Kästchen deaktiviert werden müsste.    
Es bleibt wie bisher bei dem grundsätzlichen Verbot haftungsbeschränkender Vereinbarungen zulasten des Verbrauchers. 
Aktualisierungspflicht für Waren mit (unentbehrlichen) digitalen Elementen
Seit dem 1. Januar 2022 gilt auch eine Aktualisierungspflicht des Verkäufers für Waren mit digitalen Elementen, geregelt in  §§ 475b ff. BGB. Insoweit wurde der Sachmangelbegriff um die Aktualisierungspflicht ergänzt. Der Anwendungsbereich umfasst Sachen, die in einer solchen Weise digitale Inhalte oder Dienstleistungen enthalten, dass sie ihre Funktionen ohne die digitale Komponente nicht erfüllen können, wie z. B. ‎Tablets, intelligente Armbanduhren, Navigationssysteme, Saugroboter, Smart-TVs.
Die Neuregelungen finden jedoch nur auf Verbraucherverträge Anwendung.
Die Aktualisierungspflicht soll sicherstellen, dass die Technik auch dann noch funktioniert, wenn sich das digitale ‎Umfeld – zum Beispiel die Cloud-Infrastruktur – ändert. Neben der Interoperabilität geht es dabei auch um die Sicherheit von smarten Geräten, die durch Sicherheits-Updates vor einem unberechtigten Zugriff Dritter auf Daten oder Funktionen geschützt werden sollen.
Die allgemeinen Anforderungen an die Mangelfreiheit wurden in subjektiver Hinsicht dahingehend ergänzt, dass für die digitalen Elemente der Kaufsache die vertraglichen Aktualisierungen bereitgestellt werden. Insoweit richten sich Umfang und Dauer nach der jeweiligen vertraglichen Vereinbarung.
In Bezug auf objektiv geschuldete Aktualisierungen nennt § 475b Absatz 4 Nr. 2 BGB keinen konkreten Zeitraum. Der Gesetzgeber gibt lediglich vor, dass es sich um einen Zeitraum handelt, den der Verbraucher „aufgrund der Art und des Zwecks der Ware und ihrer digitalen Elemente sowie unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann“. Der Aktualisierungszeitraum bestimmt sich also nach dem Erwartungshorizont eines Durchschnittskäufers. Als Richtwert ist von zwei Jahren auszugehen. Dies entspricht in Deutschland typischerweise der Verjährung von Mängelansprüchen beim Verbrauchsgüterkauf. Gerade bei sicherheitsrelevanten Aktualisierungen könnte der Zeitraum aber auch länger sein. Als Auslegungskriterien sind in der Gesetzesbegründung Werbeaussagen, die zur Herstellung der Kaufsache verwendeten Materialien, der Preis, Erkenntnisse über die übliche Nutzungs- und Verwendungsdauer („life cycle“).
Dabei schuldet der Verkäufer alle Aktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Sache erforderlich sind. Er muss den Verbraucher auch über die anstehende Aktualisierung informieren. Jenseits von die Funktion erhaltenden Aktualisierungen ist der Unternehmer aber nicht dazu verpflichtet, verbesserte Versionen der digitalen Elemente zu Verfügung zu stellen.
Neuer Vertragstyp: Waren mit digitalen Inhalten
In Umsetzung der Digitale-Inhalte-Richtline hat der Gesetzgeber mit den §§ 327 ff BGB einen neuen Vertragstyp geschaffen. Gemeint sind Verbraucherverträge über digitale Produkte, die die Bereitstellung digitaler Inhalte (wie z. B. Software, E-Books) oder digitale Dienstleistungen (z. B. Videostreaming) gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben. Ebenfalls erfasst sind auch solche Verträge, bei denen der Verbraucher personenbezogene Daten bereitstellt oder sich zur Bereitstellung verpflichtet. Ausgenommen sind aber Daten, die der Unternehmer braucht, um seine Leistung zu erbringen.
Die Sondervorschriften sehen vor, dass der Unternehmer das digitale Produkt frei von Rechts- und Sachmängeln überlassen muss. Die Mängelrechte sind weitgehend den entsprechenden kaufrechtlichen Regelungen nachgebildet. Nicht überraschend ist es, dass auch für digitale Produkte eine Pflicht besteht, Aktualisierungen bereitzustellen und darüber zu informieren (neuer § 327f BGB).    
Die Ausnahmen vom Geltungsbereich sind abschließend aufgezählt in dem neuen § 327 Abs. 6 BGB, wie z. B. Telekommunikationsverträge, Glücksspiele, Finanzdienstleistungen. 
Zusammenfassung
Zusammengefasst ist es durch die Änderungen zu einer „Vierteilung“ des Mängelrechts beim Kaufvertrag gekommen:
  1. Für einfache – analoge - Kaufgegenstände richtet sich die Mangelfreiheit nur nach dem § 434 BGB.
  2. Für Waren mit digitalen Elementen gilt ebenfalls der § 434 BGB, ergänzt um die neuen Regeln im Verbrauchsgüter-Kaufrecht.
  3. Wenn keine qualifizierte Verbindung zwischen der Sache und dem digitalen Element vorliegt, bestimmt sich die Mangelfreiheit des digitalen Elements nach den §§ 327d ff. BGB und im Übrigen nach § 434 BGB.
  4. Losgelöst vom neuen § 434 BGB gelten für „rein“ digitale Elemente die neuen §§ 327d ff BGB.
Eine zentrale Frage wird daher sein, welches Mängelrecht und damit welche Gewährleistungsrechte einschlägig sind.
Verschärfung der Beweislast
Verkäufer müssen beim B2C-Kauf nicht – wie bisher – nur in den ersten sechs Monaten, sondern zwölf Monate nach Übergabe der Kaufsache beweisen, dass die Kaufsache mangelfrei war. Dies stellt im B2C-Geschäft eine erhebliche Verschärfung zulasten des Verkäufers dar. Die gesetzliche Vermutung kann zwar – wie bisher – widerlegt werden, etwa wenn der Verkäufer nachweisen kann, dass der Mangel durch unsachgemäße Behandlung oder durch Verschleiß entstanden ist. Eine solche Beweisführung kann aber aufwendig und schwierig sein. Die Verdoppelung der Vermutungsfrist auf ein Jahr wird den Handel deshalb aller Voraussicht nach mit mehr Streitfällen und höheren Kosten belasten.
Beim Verkauf von B-Ware, Vorführgeräten, Ausstellungsstücken oder gebrauchter Ware kann die negative Beschaffenheit zum Beispiel im Hinblick auf Gebrauchsspuren nicht mehr – wie früher –  über die Produktbeschreibung oder die Ausschilderung der Ware vereinbart werden.
Negative Beschaffenheitsvereinbarungen sind nur noch möglich, wenn der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung "eigens" davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht. Außerdem muss die Abweichung ausdrücklich und gesondert vereinbart werden. Die Abweichung kann daher auch nicht in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder im Formularvertrag geregelt werden. Im Online-Handel genügt auch ein vorangekreuztes Kästchen nicht, das der Verbraucher deaktivieren kann.
Neue Regeln bei der Gewährleistungsfrist
Die Verjährungsfrist für Mängelansprüche beim Warenkauf beträgt nach wie vor zwei Jahre ab Ablieferung der Sache. Neu sind aber zwei sogenannte Ablaufhemmungen: Bei einem Mangel, der sich innerhalb der regulären Gewährleistungsfrist gezeigt hat, tritt die Verjährung erst vier Monate nach dem Zeitpunkt ein, in dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat. Wenn sich also bei einem gekauften PC erst im 23. Monat der Mangel zeigt, kann der Käufer seine Ansprüche beispielsweise noch bis zum 27. Monat nach Lieferung geltend machen. Das Problem: Für den Verkäufer ist kaum nachprüfbar, wann der Mangel sich tatsächlich gezeigt hat.
Darüber hinaus sieht das Gesetz eine Ablaufhemmung vor, wenn der Unternehmer während der Verjährungsfrist einem geltend gemachten Mangel durch Nacherfüllung abhilft. In diesem Fall tritt die Verjährung von Ansprüchen wegen des geltend gemachten Mangels erst nach Ablauf von zwei Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem die nachgebesserte oder ersetzte Ware dem Verbraucher übergeben wurde. Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass der Käufer nach Rückerhalt der Sache prüfen kann, ob durch die Nacherfüllung dem geltend gemachten Mangel abgeholfen wurde. Sichergestellt wird zudem, dass die Verjährung nicht abläuft, während sich die Kaufsache zur Nacherfüllung beim Verkäufer befindet.
Erleichterte Rücktrittsmöglichkeiten für Käufer
Das Gewährleistungsrecht geht wie bisher davon aus, dass der Verkäufer bei einem Sachmangel die Möglichkeit haben soll, den Mangel zu korrigieren. Der Käufer hat deshalb zunächst nur einen Anspruch auf Nacherfüllung. Er kann hiernach Reparatur der mangelhaften Sache oder Lieferung einer neuen, mangelfreien Sache verlangen. Rücktritt, Minderung und Schadensersatz sind dagegen nur möglich, wenn der Käufer dem Verkäufer eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und diese ergebnislos verstrichen ist.
Während es im unternehmerischen Geschäftsverkehr bei dieser Regel geblieben ist, ist das Erfordernis der Fristsetzung bei Verbrauchergeschäften entfallen. Ausreichend ist hier der bloße Ablauf einer angemessenen Frist. Hat der Unternehmer in diesem Sinne nicht rechtzeitig nacherfüllt, ist der Verbraucher zum Rücktritt berechtigt. Die Auswirkungen dieser vielleicht auf den ersten Blick eher unscheinbar wirkenden Verschärfung des Gewährleistungsrechts können erheblich sein: Ein Kfz-Händler zum Beispiel, der sich mit der Bearbeitung der Reklamation wegen eines überschaubaren Sachmangels zu lange Zeit lässt, läuft nunmehr Gefahr, dass er den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des gebrauchten Pkw zurückzahlen muss.
Neuregelungen umsetzen.
Handelsunternehmen sind gefordert, die zahlreichen Gesetzesänderungen in der Praxis umzusetzen. Das betrifft nicht nur die vorgenannten Neuerungen. Auch bei der Garantie, dem Verkauf von gebrauchten Waren, dem Unternehmerrückgriff sowie in verschiedener anderer Hinsicht sind andere gesetzlichen Vorgaben zu beachten. Allgemeine Geschäftsbedingungen sollten deshalb überprüft, das Verkaufspersonal geschult, das Beschwerdemanagement angepasst und die Vertragsverhältnisse in Bezug auf Hersteller und/oder Lieferanten mit Blick auf die seit dem 1. Januar 2022 geltenden Regelungen angepasst werden.
Stand: 23.10.2023