Recht und Steuern

Vertretungsregeln im Geschäftsverkehr

1. Allgemeines

Grundsätzlich ist nur der Geschäftsinhaber oder gesetzliche Vertreter berechtigt wirk­same Verträge für seinen Gewerbebetrieb abzuschließen. Die Durchführung dieser Re­gelung ist heutzutage jedoch nicht mehr praktikabel, da die zunehmende Komplexität des Wirtschaftslebens es unmöglich macht alle Entscheidungen höchstpersönlich durch den Geschäftsinhaber oder Geschäftsführer zu treffen. Aus diesem Grund ist es not­wendig, Verantwortung durch Delegation von Aufgaben an Mitarbeiter abzugeben. Da­bei kann der Vollmachtgeber den Umfang einer Vollmacht nach dem Bürgerlichen Ge­setzbuch (BGB) frei bestimmen. Er allein legt also fest, bei welchen Geschäften er ver­treten werden will. Von der Einzel­vollmacht, die beschränkt ist auf bestimmte Rechts­handlungen, bis hin zur Generalvoll­macht, die gerichtet ist auf die Wahrnehmung sämtli­cher Geschäfte, sind hier die ver­schiedensten Konstellationen denkbar. Neben diesen allgemeinen zivilrechtlichen Rege­lungen normiert das Handelsgesetzbuch (HGB) beson­dere Vertretungsberechtigungen für Kaufleute (im Han­delsregister eingetragene Unter­nehmen), die in ihrer Ausprägung den besonderen Erfor­dernissen des Wirtschaftsver­kehrs angepasst sind.

2. Die Prokura

Die Prokura gemäß §§ 48 ff. HGB bildet die umfangreichste handelsrechtliche Vertre­tungsbefugnis. Mit Aus­nahme der sogenannten Grundgeschäfte wie der Veräußerung und Belastung von Grundstücken ermächtigt sie zu allen Arten von Rechtsgeschäften, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt, wobei der Prokurist auch bran­chenfremde Geschäfte tätigen kann. Auch wenn die Prokura intern durch Vertrag mit dem Unternehmer be­grenzt ist, bleiben die im Außenverhältnis abgeschlossenen Ver­träge gleichwohl wirk­sam. Dies gilt selbst dann, wenn der Geschäftspartner die internen Vereinbarungen kannte. Der Umfang der Prokura ist insoweit nach außen zwingend durch das HGB fest­gelegt, ohne dass eine Beschränkung möglich ist.
Die Prokura kann nur von Kaufleuten erteilt werden. Nichtkaufleute oder der Prokurist selbst sind von der Prokura-Erteilung ausgeschlossen. Die Erteilung muss durch den Inhaber des Handelsgeschäftes oder ggf. durch den gesetzlichen Vertreter (z.B. den Geschäftsführer der GmbH) ausdrücklich erfolgen. Erteilung und Erlöschen der Prokura sind jeweils zum Handelsregister anzumelden. Dabei ist besondere Aufmerksamkeit ge­boten: Solange die Eintragung im Handelsregister besteht, kann der Prokurist mit sämtli­chen Befugnissen tätig werden und zwar selbst dann, wenn die Prokura tatsächlich be­reits erloschen ist, sei es z. B. durch Widerruf, durch Geschäftsaufgabe oder weil das zugrunde liegende Dienstverhältnis beendet wurde.
Weitere Detailinformationen enthält das Merkblatt "Der Prokurist".

2. Die Handlungsvollmacht

Die Handlungsvollmacht gemäß § 54 HGB reicht weniger weit als die Prokura. Ihren Umfang kann der Geschäftsinhaber - anders als bei der Prokura - selbst festlegen. Über­schreitet der Be­vollmächtigte den gesetzten Rahmen, bleibt das Unternehmen durch den Vertrag gleichwohl gebunden, wenn der Geschäftspartner die Beschränkung nicht kannte oder hätte kennen müssen. Regelmäßig werden von der Handlungsvollmacht allerdings nur branchenübliche Geschäfte erfasst. Die Handlungsvollmacht wird nicht in das Handels­register eingetragen und kann ohne Formerfordernisse, z. B. auch mündlich oder durch schlüssiges Handeln, erteilt werden. Schon aus Beweisgründen ist aber eine schriftliche Erteilung zu empfehlen.
Eine Handlungsvollmacht kann, wie die Prokura, auch als Gesamthandlungsvollmacht mehreren Personen gemeinschaftlich erteilt werden.

3. Verkaufsberechtigung von Angestellten im Laden oder Warenlager

Wer in einem Laden oder offenen Warenlager angestellt ist, gilt nach § 56 HGB als er­mächtigt zu Verkäufen und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden oder Lager gewöhnlich abgewickelt werden. Sofern ein Angestellter also mit Wissen und Willen des Geschäftsinhabers in Kontakt zu Kunden tritt, dürfen diese sich auf das Bestehen einer Vollmacht im üblichen Rahmen verlassen. Der Begriff  "Verkäufe" ist in diesem Zusam­menhang untechnisch zu verstehen, so dass hierunter auch die Entgegennahme von Mängelanzeigen sowie Übereignungserklärungen, nicht jedoch Ankäufe oder Zusagen für einen Umtausch fallen. Wenn der Kunde vom Bestehen einer Verkaufsberechtigung ausgehen darf, kann er z. B. wirksam bei einem Angestellten im Laden zahlen. Der Ge­schäftsinhaber wiederum kann dies durch deutliche Hinweise wie etwa "Zahlung nur an der Kasse" ausschließen.

4. Einräumung einer typischerweise mit Vollmacht verbundenen Stellung

Manche Aufgaben setzen zu ihrer ordnungsgemäßen Erfüllung eine bestimmte Voll­macht voraus, wie etwa die Tätigkeiten des Architekten oder des Anwalts. Wer einem anderen eine solche Aufgabe überträgt, muss diesen deshalb auch dann als bevollmäch­tigt gelten lassen, wenn eine Vollmacht für das konkrete Geschäft tatsächlich nicht er­teilt war. Der Geschäftsherr kann nur dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn für den anderen Teil das Fehlen bzw. die Einschränkung der Vertretungsmacht un­schwer zu erkennen war.

5. Organschaftliche Vertretung

Das Gesellschaftsrecht enthält verschiedene Sonderregelungen zur Vertretungsbefugnis der Gesellschafter oder der Organe der jeweiligen Gesellschaft:
  • BGB-Gesellschaft (GbR): Grundsätzlich besteht bei der GbR Gesamtvertretungs­macht, d. h., Rechtsgeschäfte mit Dritten sind nur dann wirksam, wenn sie von allen Gesell­schaftern gemeinsam abgeschlossen wurden. Im Gesellschaftsver­trag können jedoch beliebige Abweichungen von diesem Grundsatz vereinbart werden.
  • Offene Handelsgesellschaft (OHG): Zur Vertretung der OHG ist jeder Gesellschaf­ter allein ermächtigt, der nicht durch den Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen ist. Ein entsprechen­der Ausschluss ist von sämt­lichen Gesellschaftern zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Bleibt ein Gesellschafter allein oder mit anderen Gesellschaftern vertre­tungsbefugt, so erstreckt sich diese Vertretungsmacht auf sämtliche denkbaren gericht­lichen und außergerichtlichen Geschäfte. Eine Beschränkung dieses Vertretungsumfangs ist gegenüber Dritten nicht möglich.
  • Kommanditgesellschaft (KG): Die Vertretungsmacht des Komplementärs einer KG entspricht der des OHG-Ge­sellschafters. Eine Besonderheit ergibt sich dage­gen für den Kommanditisten: Er ist von der organschaftlichen Vertretung ausge­schlossen, gehört also nicht zu den Personen, durch die eine KG nach dem Ge­setz handelt. Unabhängig davon kann er jedoch nach den allgemeinen Grundsät­zen rechtsgeschäftlich bevollmächtigt und sogar zum Prokuris­ten ernannt wer­den.
  • Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH): Die GmbH wird durch den Ge­schäftsführer vertreten; mehrere Geschäftsführer müssen gemeinsam handeln, wenn im Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt ist. Die Vertretungs­macht der Geschäftsführer ist nach außen nicht beschränkbar.
  • Aktiengesellschaft (AG): Die Aktiengesellschaft wird durch den Vorstand vertre­ten; er kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Seine Vertretungsbe­fugnis kann nicht mit Wirkung gegenüber Dritten beschränkt werden. Setzt er sich aus mehreren Personen zusammen, so sind alle Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Geschäftsführung und Vertretung befugt.
  • Eingetragene Genossenschaft (e.G.): Die eingetragene Genossenschaft wird eben­falls durch einen Vorstand vertreten; auch er kann aus einer oder mehreren Personen bestehen. Seine Vertretungsbefugnis kann nicht mit Wirkung gegen­über Dritten beschränkt werden. Setzt er sich aus mehreren Personen zusam­men, so sind alle Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Geschäftsfüh­rung und Vertretung befugt.

6. Die Rechtsscheinvollmachten

Die Rechtsprechung hat zwei Fallgruppen entwickelt, wonach ein Gewerbetreibender die Geschäfte eines vermeintlichen Vertreters auch ohne ausdrückliche Bevollmächtigung als bindend akzeptieren muss:
  • Der Gewerbetreibende lässt es über einen längeren Zeitraum wissentlich gesche­hen, dass ein anderer für ihn als Vertreter auftritt (sog. Duldungsvollmacht).
  • Der Gewerbetreibende kannte zwar das Handeln des Scheinvertreters nicht, hätte es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen und verhindern können (sog. Anscheinsvoll­macht).
Die Bindungswirkung für den Gewerbetreibenden entfällt nur dann, wenn der Vertrags­partner nicht schutzwürdig erscheint, z. B., weil er das Fehlen der Vertretungsmacht kannte. Insgesamt führen diese Grundsätze zu erheblichen Haftungsrisiken für den Ge­schäftsinhaber, sodass dieser sein Verhalten jederzeit kritisch beobachten sollte. Hier gewinnen etwa die Fälle an Bedeutung, in denen ein ehemals Bevollmächtigter trotz Beendigung seines Vertrages mit dem Unternehmen weiterhin nach außen agiert oder in denen ein Angestellter sich unter Duldung des Inhabers Kompetenzen anmaßt. Um ei­nem falschen Rechtsschein von vornherein vorzubeugen, kann der Geschäftsinhaber z. B. seine Kunden per Rundschreiben vom Erlöschen der Vollmacht unterrichten.

7. Vertretung ohne Vertretungmacht

Handelt ein Vertreter ohne die erforderliche Vollmacht, so wird der angeblich Vertretene nur dann rechtlich verpflichtet, wenn er das Geschäft nachträglich genehmigt. Verwei­gert er die Genehmigung, ist die Angelegenheit für ihn erledigt. Ein Schaden kann für ihn - abgesehen von den Fällen der Rechtsscheinvollmacht - nicht entstehen. Der Vertrags­partner muss sich wegen etwaiger Ansprüche allein an den vermeintlichen Vertreter halten, der ihm nach seiner Wahl zur Erfüllung des Vertrages oder zum Ersatz des Scha­dens verpflichtet ist. Die Ersatzpflicht des vermeintlichen Vertreters ist nach dem Gesetz eingeschränkt, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte. Die Haftung entfällt vollständig, sofern der andere Teil wusste oder hätte wissen müssen, dass eine Bevollmächtigung tatsächlich nicht bestand.

Hinweis: Dieses Merkblatt soll – als Service Ihrer Industrie- und Handelskammer Hannover – nur erste Hinweise geben und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung auf die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.
Stand: 09.01.2024